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Incidence estimation in post-ICU populations: Challenges and possible solutions when using claims data.
Inzidenzschätzung nach Entlassung von der Intensivstation: Herausforderungen und mögliche Lösungen bei der Verwendung von GKV-Routinedaten.
Hintergrund Neue oder sich verschlechternde kognitive, körperliche und/oder psychische Folgeerkrankungen nach der Behandlung kritischer Erkrankungen auf der Intensivstation (ICU) werden als „Post-Intensiv-Syndrom“ (PICS) bezeichnet. Die Rekrutierung von ehemaligen Intensivpatienten für Beobachtungsstudien gestaltet sich oftmals als schwierig, weshalb kaum Informationen zur Inzidenz einzelner Komponenten dieses Syndroms vorliegen. (GKV-)Routinedaten sind daher besonders gut geeignet, um Inzidenzschätzungen an solchen schwer zu rekrutierenden Gruppen durchzuführen. Allerdings gibt es einige methodische Herausforderungen, die adressiert werden müssen, wenn man empirische Forschung zu Folgen von Intensivaufenhalten auf Basis von Routinedaten durchführen möchte. Ziel dieser Arbeit ist es, 3 wesentliche Herausforderungen und mögliche Lösungen für die Schätzung der Inzidenz von PICS auf Grundlage von GKV-Routinedaten zu beschreiben.
Methodische Herausforderungen Konkurrierendes Risiko durch Versterben, die Untersuchung eines Syndroms und der Umgang mit Intervallzensierung.
Erstens wird in (Post-)ICU-Populationen die Annahme der Unabhängigkeit zwischen dem interessierenden Ereignis (Diagnose der PICS-Komponente) und dem konkurrierenden Ereignis (Tod) verletzt. Das konkurrierende Risiko (competing risk) ist ein Ereignis, dessen Auftreten das zu beobachtende Ereignis von Interesse ausschließt. Das konkurrierende Ereignis bleibt häufig unberücksichtigt, aber in ICU-Populationen ist das Versterben ein häufiges sekundäres Ereignis. Methoden zur Schätzung der Inzidenz bei konkurrierenden Risiken sind gut etabliert, wurden aber nicht auf das oben beschriebene Szenario angewendet.
Zweitens ist PICS ein komplexes Syndrom und kann durch verschiedene ICD-10-Codes (Internationale Klassifikation der Krankheiten, 10. Revision) abgebildet werden. Die Operationalisierung dieses Syndroms (Fallidentifizierung) und die Validierung von Fall-Definitionen sind besonders herausfordernd.
Die dritte große Herausforderung ist die fehlende Dokumentation des genauen Datums des interessierenden Ereignisses in den GKV-Routinedaten. Die vorhandenen Daten geben nur Aufschluss darüber, ob das Ereignis innerhalb eines bestimmten Zeitraums eingetreten ist. Diese Eigenschaft wird als Intervallzensierung bezeichnet. Seit kurzem gibt es Methoden, die eine informative Zensierung aufgrund konkurrierender Risiken bei gleichzeitiger Intervallzensierung berücksichtigen. Eine weitere Alternative besteht darin die Zuordnung eines genauen Datums zu jeder PICS-Diagnose mithilfe von Verordnungsdaten zu kombinieren, denn für die Verschreibung eines entsprechenden Medikamentes und/oder medizinischer Leistungen ist ein genaues Datum hinterlegt.
Schlussfolgerung Die Inzidenzschätzung in Post-ICU-Populationen bringt verschiedene methodische Probleme bei der Verwendung von GKV-Routinedaten mit sich. Wissenschaftlern muss das Vorhandensein von konkurrierenden Risiken bewusst sein. Die Anwendung interner Validierungskriterien zur Operationalisierung des interessierenden Ereignisses ist entscheidend, um zuverlässige Inzidenzschätzungen zu erhalten. Das Problem der Intervallzensierung kann entweder durch statistische Methoden oder durch die Kombination von Informationen aus anderen Quellen gelöst werden.